Aus der aktuellen Rechtsprechung: Sorgfaltspflichten einer Vorsorgeeinrichtung bei der Barauszahlung an Verheiratete
Kürzlich hatte das Bundesgericht über einen Praxisfall zu befinden, in welchem ein Vorsorgenehmer aufgrund der Aufnahme seiner Selbständigkeit seine Vorsorgeeinrichtung anwies, ihm sein 2. Säule Guthaben auszuzahlen.
Die entsprechende Instruktion wurde mittels Formulars „Dienstaustritt“ eingereicht, welches allerdings widersprüchlich und missverständlich ausgefüllt wurde: Von der Freizügigkeitsleistung von insgesamt CHF 253'792.30 seien mittels Einzahlungsschein an die Lebensversicherungsgesellschaft A CHF 215'250 zu entrichten, die übrigen CHF 38'542.30 auf das private Bankkonto des Vorsorgenehmers.
Im Verlauf des Scheidungsverfahrens ergab sich, dass der Ehemann aus der Lebensversicherungspolice Vorbezüge über insgesamt CHF 218'695 getätigt hatte. In der Folge stellte sich die Ehegattin gegenüber der Vorsorgeeinrichtung auf den Standpunkt, sie sei nicht damit einverstanden gewesen, dass der an die Versicherungsgesellschaft überwiesene Betrag in eine ungebundene Vorsorge transferiert werde. Durch das Fehlverhalten der Vorsorgeeinrichtung habe sie bei der späteren Scheidung eine zu tief ausgefallene Austrittsleistung erhalten. Dafür fordert sie Schadenersatz.
Gemäss Art. 5 Abs. 2 FZG (Freizügigkeitsgesetz) ist die Barauszahlung nur zulässig, wenn der Ehegatte dieser Transaktion schriftlich zustimmt. Diese Vorschrift dient dem Schutz der Familie und braucht zu deren Erfüllung eine schriftliche Zustimmungserklärung, die unmissverständlich, vorbehalt- und bedingungslos sein muss.
Im vorliegenden Fall enthielt das vom Vorsorgenehmer ausgefüllte Formular „Dienstaustritt“ in der Rubrik „Überweisung der Austrittsleistung an die Vorsorgeeinrichtung des neuen Arbeitgebers“ gemäss Art. 3 Abs. 1 FZG den Vermerk „siehe beigelegter Einzahlungsschein“ handschriftlich beigefügt; in der Rubrik „Barauszahlung nach Art. 5 FZG“ den Vermerk „nur Differenz zum Betrag auf den Einzahlungsschein“.
Die Vorsorgeeinrichtung habe die handschriftliche Anmerkung nicht als Anweisung zur Überweisung der CHF 215'250 verstehen müssen, gestützt auf Art. 3 Abs. 1 FZG. Ebenso wenig hätte sie aus dem Formular „Dienstaustritt“ eine ausdrückliche Anweisung zur Überweisung zwecks Erhaltung des Vorsorgeschutzes auf „andere Weise“ gemäss Art. 4 FZG deuten müssen.
In seinem Urteil (9C_862/2012) hat das Bundesgericht entschieden, dass die involvierte Vorsorgeeinrichtung dazu angehalten gewesen wäre, Rückfragen und Nachforschungen anzustellen. Hätte sie zudem die ihr gebotene Sorgfalt aufgewendet, hätte sie merken müssen, dass die schriftliche Zustimmung der Ehepartnerin des Vorsorgenehmers nicht unmissverständlich, vorbehalt- und bedingungslos war, zumal die Zahlungsanweisung mehrere Fragen aufwirft, die sich höchstens spekulativ oder vermutungsweise beantworten lassen. Die Vorsorgeeinrichtung hat somit ihre Sorgfaltspflicht verletzt (wozu bereits Fahrlässigkeit genügt wie beispielsweise das Nichtüberprüfen von [gefälschten] Unterschriften) und wird deshalb verpflichtet, Schadenersatz zu leisten.